(Verdauungs-)Probleme im Überfluss am Kaukasus: 4’920km – 6’122km

Kilometer 4’989

Wir sind in einem christlichen Land angekommen. Wir bemerken dies nicht etwa am Fehlen der Moscheen, sondern an der Art und Weise der Werbung und am öffentlichen Alkoholangebot: Halbnackte Frauen werben für glitzernde Casinos und 2.5 l Plastikbierflaschen werden an kleinen Strassenläden zum Verkauf angeboten. Zudem scheinen die Georgier einen Hang zum Kitsch zu haben, weshalb es neben ärmlichen Hütten prunkvolle palastähnliche Gebäude gibt und die Skyline nachts Las Vegas-mässig funkelt und blinkt.

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Batumi in der Nacht.

Irgendwie vermag uns der erste Eindruck von Georgien nicht recht zu überzeugen. Für Abwechslung sorgen lediglich die Kühe, die seit dem Grenzübertritt auf den Strassen trotten. Mätteli scheint sich zumindest im Strassenverkehr wohl zu fühlen. Mitten in der abendlichen Rush Hour von Batumi schlängelt er sich durch die anderen Autos, eröffnet auf zweispurigen Strassen eine dritte Spur und hupt jeden an, der sich nur ansatzweise traut, seine Fahrbahn zu kreuzen.

Die Sonne ist bereits hinter dem Horizont verschwunden, als wir etwas resigniert einen Strandplatz zum Übernachten suchen, denn auch hier unterscheidet sich Georgien von der Türkei: Sandstrand ist Fehlanzeige, wir finden nur einen Steinstrand – für eine Nacht wird es wohl reichen müssen. Melinas Gesundheitszustand hat sich mittlerweile verschlechtert. In bester Tradition suchen wir für kranke Teammitglieder eine Unterkunft. Gleich um die Ecke gibt es eine gemütliche Bleibe für die Regeneration. Melina, Kevin und Destiny (zur moralischen und medizinischen Unterstützung) richten sich in einem Zimmer ein, die anderen kehren an den Strand zurück. Dort bahnt sich jedoch Ungemach an: Ein Polizeiauto fährt mit Blaulicht zu uns und der Polizeibeamte gibt uns unmissverständlich zu verstehen („Njet, Problema“), dass dies ein eher ungeeigneter Ort zum Übernachten sei. Uns ist aufgefallen, dass viele Autos zum Strand fahren, auch sehen wir mehrere Gummiboote, die am Strand anlegen – mitten in der Nacht in Grenznähe. Das Ganze macht einen leicht dubiosen Eindruck. Mätteli versucht mit seinen schmalen Russischkenntnissen doch noch eine Nacht auszuhandeln – erfolglos. Der Polizist verliert die Geduld  bittet uns, ihm mit unserem Pändeli zu folgen. Mondi und Mätteli gehorchen. Eine Polizeieskorte inkl. Blaulicht ist für beide neu. Umso nervöser werden die beiden, als sie bemerken, dass sie zum örtlichen Polizeiposten geführt werden. Was dann folgt, ist Stoff für Geschichten, die man später einmal seinen Grosskindern erzählen kann: Der mürrische Polizist tauscht seinen Lätsch gegen ein Lächeln und zeigt auf die grüne Wiese im Vorgarten des Polizeipostens. Hier dürfen wir gerne eine Nacht bleiben und unsere Zelte aufschlagen. Direkt. Vor. Dem. Polizeiposten.

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Englischer Georgischer Rasen mit Reisenden.

Einmal dort angekommen, stellt man sich mit Namen vor. Von nun an ruft der Polizist bei jeder Gelegenheit Mätteli zu sich und zeigt ihm stolz die Backgammon spielenden Polizisten den Polizeiposten. Wir sind froh um den wohl sichersten Schlafplatz der ganzen Rally und die Polizisten um etwas Betrieb in ihrer Nachtschicht.

Nach einer kurzen, unruhigen Nacht im Vorgarten der Polizei räumen wir unsere Zelte zusammen und fahren an den nächsten Strand. Im erfrischenden Meerwasser sehen wir wieder Delfine. Leider möchte kein Flipper mit uns schwimmen. Alle sehnen sich nach einer Dusche. Nur Mätteli scheint seine Prioritäten wieder einmal anders zu setzen: Sein einziges Bedürfnis scheint das Stillen seines eisenbahnerischen Wissensdurstes zu sein. Fahren die georgischen Züge Isebaahne auf Breit- oder Normalspur? Er holt den Meter, misst kurz und murmelt unter einem zufriedenen Nicken „Breitspur. Has no dänkt.“.

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First things first bei Mätteli.

Zum Glück liegen die Gleise direkt neben einem Strand, wo die restlichen Teammitglieder ihr Bedürfnis nach einer Dusche stillen können. Wir sind wieder frisch und munter und Georgien gefällt uns schon viel besser.

Mefistle, Destiny und Kevin sind zurück aus ihrer Unterkunft. Neben etwas Ruhe und Erholung haben sie dort auch eine riesige Spinne in einem gehäkelten Deko-Element gefunden. Kevin hat die Spinne kurzerhand mitsamt Häkeldeckchen aus dem Fenster der Unterkunft geworfen. Problem gelöst. (Warnung: Spinnenphobiker überscrollen das folgende Bild am besten.)

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Spinne in Häkeldeckchen.

Wir fahren weiter und erreichen am Nachmittag Gelati. Nein, keine italienischen Glacés, sondern ein Ort in den georgischen Hügeln. Dort hat Papi Mätteli für zwei Nächte ein Appartement gemietet. Es ist ein geräumiges einstöckiges Gebäude mit vielen verschiedenen Schlafzimmern, lauschig in einem grünen Garten voller Pflaumenbäume gelegen. Draussen bimmelt es immer wieder und freilaufende Kühe wandern vorbei. Im Haus riecht es nach Einstreu für Nagetiere eigentümlich, aber daran hat man sich rasch gewöhnt, insbesondere mit dem Luxus von gemütlichen Betten, sauberen Badezimmern und einer weitläufigen Terrasse. Mefistle nimmt sogleich eines der Betten in Beschlag und schwitzt ihr Fieber raus, liebevoll umsorgt von sich immer abwechselnden Teammitgliedern. Top Krankenschwestern und -brüder!

Als sich dann auch noch Moris mit erhöhter Temperatur und Gliederschmerzen hinlegt, geht bei uns langsam die Epidemien-Stimmung um. Wen trifft es wohl als nächstes? Der gesunde Rest der Truppe geniesst trotzdem den lauen Abend auf der Terrasse bei Pasta, Wein und schwarzer Schokolade.

Nach einer erholsamen Nacht in den kuschligen Betten folgt die Wiederauferstehung von Moris. Er fühlt sich wieder fitter, und auch Fistelüle ist bei weitem nicht mehr gleich fiebrig wie am Vortag. Die Epidemie scheint also San Mauro sei Dank nicht um sich zu greifen.

Den Pausentag nutzen wir zum Sightseeing. Dreihundert Meter von unserer Bleibe entfernt befindet sich ein altes Kloster. Selbstverständlich gehen wir nicht zu Fuss hin, sondern mit dem Auto (simer ufere Rally oder was?). Die Gebäude sind architektonisch sehr beeindruckend und müssen uralt sein – wir wissen es aber nicht sicher, da wir die Elbenschrift nicht lesen können. In der Kuppel der Kirche entdecken wir prominent platziert ein Ebenbild des Cousins von Fabian, Sebastian Schneeberger (bitte googelt ihn und unterstützt seine Handball-Aktivitäten). Jetzt sind wir noch beeindruckter und tief ergriffen, insbesondere da die Nase des Bästeli-Ebenbilds dem männlichen Genital gleicht.

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Sebastian Schneeberger in der Kuppel eines georgischen Klosters.

Kilometer 4’989 (immer noch)

In der Nacht von Sonntag auf Montag leidet Fistle unter starken Bauchkrämpfen. SIe hat schon länger kaum mehr gegessen und wenig getrunken, weshalb wir beschliessen, am Montag einen Arzt aufzusuchen. Zuerst räumen wir aber das Appartement auf, das wir zwei Tage lang belagert haben. Es handelt sich um eine Erstvermietung und somit haben wir einige Mängel aufgedeckt. Darunter ein Mangel, der einige Teammitglieder in einem kreativen Anfall dafür plädieren liess, diesen Blogeintrag „Kackafluss im Kaukasus“ zu nennen: Eine der beiden Toiletten überläuft. Mhh. Das Thema Verdauung zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Reise.

So erstaunt es auch wenig, dass Mefistle im Spital eine bakterielle Enteritis, also eine Dünndarmentzündung, diagnostiziert wird (Mütter, nicht googeln, das ist ein Befehl!). Als Pflegefachfrau in Ausbildung stehen Fistelüle anhand der Behandlung zwischendurch die Haare zu Berge. So kriegt sie zunächst ohne Vorwarnung oder Information drei Spritzen in den Allerwertesten. Das Zimmer ist überfüllt, die Tür zum Flur steht offen. Die Ärztin trägt hochhackige Schuhe und ist top-gestylt, kann aber leider kein Englisch. Glücklicherweise findet sich eine deutsch-georgische Frau, die alles auf Deutsch übersetzen kann. Unvermittelt taucht ein dicker Mann auf und drückt auf Fistles Bauch herum, Fazit: „Es ist nichts Chirurgisches“. Fistle muss alle Symptome mindestens viermal aufzählen.

Die Infusionen lassen sie aber wieder strahlen – ebenso die Rechnung, die überhaupt nicht so hoch ausfällt wie erwartet (umgerechnet 60 Franken). Es scheint, als hätten die georgischen Dottores auch vergessen, die Ultraschall-Untersuchung zu verrechnen. Uns freut’s, und wir sind alle erleichtert, dass es Mefistle dank dem Medikamentencocktail wieder besser geht.

Während Melina und Destiny im Spital sind, richten sich die anderen Teammitglieder im McDonalds von Kuitassi ein. Innert weniger Stunden wird das nach Frittieröl riechende und überklimatisierte „Restaurant“ zu unserem Hauptquartier.

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McDonalds mit Aussicht auf Brunnen in Kuitassi

Im nahen schattigen Park drehen Febeler und Moris einige Time- und Hyperlapse-Filme. Zudem folgt der nächste Kontakt der beiden mit der georgischen Polizei, weil unsere Fiat-Babys offenbar am falschen Ort parkiert sind. Mittels Hupen und Winken beordnen zwei Polizeibeamte Febeler und Moris zu sich und verlangen die Pässe und Führerausweise der Fahrer. Schmunzelnd beobachtet einer der beiden Uniformierten, wie sie den Doblo partout nicht öffnen können – erst beim etwa fünften Versuch ertönt das erlösende Klicken des Schlosses. Sein Grinsen wird noch breiter, als er San Mauro erblickt: „Is it your son?“ Während sein Kollege unsere Papiere kontrolliert, inspiziert der Polizist den Doblo von allen Seiten, während er immer wieder ungläubig den Kopf schüttelt. Schliesslich erhalten Moris und Fäbu die Parkbusse – sie beläuft sich auf 10 Lari, gerade mal vier Franken. Als sie dem Beamten erleichtert das Geld geben wollen, schüttelt er nur den Kopf und deutet auf die nahe Bank. Anscheinend müssen Moris und Feble die Busse dort bezahlen. In der Bank angekommen, sehen sie nur eine schwitzende Menschentraube und entscheiden sich mangels Alternativen, sich hinten anzustellen. Nach ein paar Minuten dreht sich der erste Georgier zu ihnen um und erbarmt sich ihrer. Er bringt beide zu einem Automaten, auf welchem er sich mittels Touch-Display durch die elbenhafte georgische Schrift manövriert. Als er schliesslich merkt, dass Moris und Feble nur eine 50-Lari Note besitzen, verdreht er kurz die Augen und bezahlt den Betrag kurzerhand aus eigener Tasche.

Gegen Abend beziehen wir zwei Zimmer in einem gemütlichen Guesthouse in Kuitassi. Am Montag hätten wir nur eine kurze Etappe von 80 Kilometern einkalkuliert gehabt, weshalb wir ohne Probleme einen Tag länger in dieser Stadt bleiben können. Mätteli holt Destiny und Fistelüle aus dem Krankenhaus ab. Zuerst einmal gibt es eine Knuddel-Session mit den zwei klitzekleinen Kätzchen der Unterkunft. Es ist 34 Grad. Ein kleiner speckiger Bub, der im Guesthouse rumrennt, prahlt dezent mit seiner Virtual Reality-Brille. Der Gastgeber, ein junger Mann mit dunklen freundlichen Augen, empfiehlt uns, fürs Abendessen in ein nahes Restaurant zu gehen und dort lokale georgische Spezialitäten zu probieren. Mefistle hat eine strenge Diät verordnet bekommen („njet Fettiges!“) und bleibt mit Kevin, die seit einigen Tagen Magenschmerzen hat, im Guesthouse.

Die anderen ziehen motiviert los, haben doch fast alle nur ein paar mudrige, synthetisch schmeckende Pommes in den Mägen. Wir stellen auf dieser Reise erstaunt und in gewisser Weise stolz fest, dass wir unsere Körper recht stark unter Kontrolle haben, wenn wir das nur wollen. An manchen Tagen essen wir nur eine richtige Mahlzeit, manchmal besteht das Frühstück aus einer Olive – und trotzdem breitet sich deswegen keine schlechte Laune aus. Kommt Gelegenheit, kommt Essen. Und dazwischen fasten wir eben ein bisschen.

Wir sind dann doch sehr froh, als wir das empfohlene Restaurant erreichen. Ein junger, etwas unsicherer Kellner deckt den Tisch und nimmt die Bestellungen in brüchigem Englisch entgegen. Einige Teammitglieder kichern über sein unbeholfenes Verhalten – doch das rächt sich kurze Zeit später (Karma schlägt immer zurück!). Moris hat die Idee, zusätzlich zu den individuellen Bestellungen ein paar regionale Spezialitäten zu ordern und zu teilen. Da diese auf den Fotos der Karte relativ klein aussehen, sind alle einverstanden.

Die Geschichte nimmt dann aber eine Wendung, die sich am besten mit dem Titel „das Käse-Massaker“ umschreiben lässt. Die „kleinen“ regionalen Spezialitäten stellen sich als Hauptspeisen heraus, die wir zusätzlich zu unseren eigenen Tellern erhalten. Der Tisch ächzt unter den Speisen, und der Kellner kommt immer wieder mit grossen, vor Fett triefenden Menüs angelaufen, ein leicht hämisches Grinsen im Gesicht – und wohl erwartend, dass wir aufgeben und mit der weissen Fahne wedeln. Wir stellen fest, dass in Georgien offensichtlich nur Käse und Teig gegessen wird. Zuerst spachteln wir einen runden Käsekuchen, der sehr lecker ist und offenbar aus einer Art Ziegen- oder Schafskäse besteht. Anschliessend erreicht uns ein Gebilde aus Teig, gefüllt mit Käse und einem Ei. In die Mitte des Gerichts hat der Koch ein Stück Butter geworfen, denn sonst wäre der Fettgehalt viel zu gering gewesen. Wir beginnen zu schwitzen beim Essen. Die letzte Spezialität, die uns definitiv das Genick bricht, ist eine Art grosse Wurst aus Teig. Als wir sie aufschneiden, sehen wir – wer hätte das gedacht? – dass sie innen komplett mit Käse gefüllt ist.

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Destinys destiny

Wir sind uns sicher, dass es besser ist, dass Veganerin Kevin im Guesthouse geblieben ist. Nicht einmal Fabian gelingt es, alles zu essen, weshalb wir einen riesigen Karton mit den Resten erhalten und gemeinsam zum Guesthouse rollen.

Am nächsten Tag geht es endlich wieder auf die Strasse. Wir fahren Richtung Grenze zu Aserbaidschan. Die Sesshaftigkeit hat uns nicht sehr behagt, sind wir doch mittlerweile Nomaden geworden. Der einzige natürliche Zustand ist es für uns, im Auto zu sitzen, den Fahrtwind im Gesicht, im Dämmerschlaf Musik hörend, während die Landschaft und ein paar auf den Strassen stehende Kühe an uns vorbeifliegen.

Kilometer 5’103

An einem kleinen Verkaufsstand besorgt Mätteli mit seinen neun Worten Russisch und viel Rumgefuchtel eine Kühler-Zauberflüssigkeit. Der Doblo braucht seit neustem wieder etwa einen Liter Kühlwasser pro Stunde. Diesen Verbrauch möchten wir gerne mit diesem Mitteli senken. Der Verkäufer meint etwas von „Radiator.. pfffff.. probljema“. Das wird schon das Richtige für unseren Doblitto sein.

Die Hitze grillt uns und die beiden Italiener während der Überlandfahrt durch Georgien.

Kilometer 5’510

Die holprigen Strassen führen uns durch kleine Dörfer mit teilweise verlassenen oder sehr einfachen Häusern, die alle zur gleichen Zeit gebaut worden scheinen. Nach einiger Zeit öffnet sich die Landschaft und in den grasbewachsenen Hügeln würden wir sicher einen tollen Platz für die Zelte finden – das Fehlen von Bäumen und die immer noch brennende Sonne lassen uns aber eher nach einem Fluss Ausschau halten.

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grüne Hügel und Dreck auf Pandas Windschutzscheibe

Nach den grasbewachsenen Hügeln erreichen wir eine Ebene, wo sich nichts befindet. Nichts ausser riesige, trist aussehende Häuserblocks aus den Zeiten der sowjetischen Republik. Uns schaudert’s etwas und wir sind nicht unfroh, dass wir nicht selbst in einem solchen Bunker leben müssen. Am späteren Nachmittag finden wir nahe der Grenze zu Aserbaidschan einen geeigneten Übernachtungsplatz. Der steinige Weg zum Flussufer hinunter fordert Tribute. Kevin hat wegen der holprigen Fahrt bereits Schübe von Angstschweiss und lässt uns im Minutentakt wissen, dass sie „jetzt aber wirklich fast gedacht hat, dass wir kippen“. Beim Panda wird der Unterfahrschutz etwas angekratzt, beim Doblo ist die tiefste Stelle unter dem Fahrzeug der Auspuff. Dieser hat wohl das eine oder andere Mal kurzen Bodenkontakt gehabt. Das Resultat: Unten am Motor ist dieser abgebrochen. Was machen wir damit? Nichts! Schliesslich passt der kratzige neue Sound des Doblos nun besser zu unserer Rally: Wild, kaputt und etwas verrucht.

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Leichte Kratzer am Abgasstrang

Auf der Rasenfläche nahe dem kleinen Fluss lassen sich die Zelte wunderbar aufstellen. Ebene Flächen, weicher Boden für die Heringe, hübsche gelbe und blaue Blumen; ein perfekter Ort zum Übernachten. Ein neugieriger Einheimischer begrüsst uns und wechselt einige Worte mit Mätteli. Viel verstehen wir nicht. Nur etwas von Schlangen zwischen den Bäumen neben den Zelten. Aber nur in der Nacht. Wir sind beruhigt. Oder so.

A propos beruhigt: Mätteli antwortet brav auf die Sms der verunsicherten Mütter (und Onkel), die sich wegen dem heute ausgefallenen Tracking bereits Sorgen gemacht haben. Das GPS-Tracking scheint viel Interesse zu generieren, doch manchmal auch Unruhe zu schüren. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass das Tracking öfters mal aussteigt und dies kein Grund zur Sorge ist. Falls etwas schiefgehen sollte, würden wir uns auf jeden Fall selbst melden, haben wir doch das praktische GPS-Gerät und acht Handys bei uns. Fallen ein GPS-OK oder das Tracking einmal aus, ist dies noch lange kein schlechtes Zeichen.

Das Nachtessen zwischen den Zelten wird leider durch eine Invasion äusserst aggressiver Mücken unterbrochen. Das Einsprayen von drei verschiedenen Mückengiften scheint die Viecher nicht zu beeindrucken, weshalb wir sehr schnell den Schutz im Doblo und schliesslich in den Zelten suchen.

Am nächsten Morgen weckt uns Mätteli mit dem verhassten „Loy-Loy-Loy“-Gedudel und wir quälen uns nach einer unruhigen Nacht aus den Zelten. Obwohl wir uns mitten in der Natur befinden, haben ein paar Herren aus der Umgebung offensichtlich beschlossen, ihre Party mit lauter kitschiger Musik direkt neben unseren Zelten abzuhalten. Lautstarkes Telefonieren inklusive. Später kommt dann eine willkommene Abkühlung in Form von Regen, der beruhigend auf unsere Zelte prasselt und glücklicherweise auch die fremden Kerle verscheucht.

Am Morgen stellen wir fest, dass die abendliche Holperfahrt offensichtlich einen Reifen des Doblo etwas mitgenommen hat – unsere erste Reifenpanne auf der Mongol Rally.

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teamwork makes the dream work

Zügig verstauen wir unser gesamtes Hab und Gut und die Truppe macht sich wieder auf den Weg nach Azerbeiddings.

 

Kilometer 5’623

Kurz darauf treffen wir am Grenzübergang ein. Remember: Gloria Mätteli meint, dass er „scho chli närvös“ sei bei Grenzübertritten – was aber von Mal zu Mal abnehme. Sein unruhiges Beinwackeln ist damit nicht ganz einverstanden. Sobald wir die georgische Grenze überquert haben und im kurzen Stück Niemandsland zur Grenze zu Aserbaidschan fahren, sinniert er zudem wie immer darüber, dass es sicher interessant wäre, in diesem Gebiet eine Straftat zu begehen. Welches Strafmass gilt im Niemandsland? Oder gibt es einfach nur Selbstjustiz?

Der Grenzübertritt gestaltet sich problemlos. In die Autos schaut niemand hinein, die Beamten flirten ein wenig mit den Teamohneglieder und Moris kommt trotz falschem alternativem Geburtsdatum auf dem Visum nach einigen Diskussionen zwischen den Uniformierten auch ins Land. Vielleicht haben die Grenzbeamten sich auch nur dadurch verwirren lassen, dass er ganz hippie-esk barfuss über die Grenze spaziert.

Hello Aserbaidschan!

Kilometer 5’750

We love Ganja, denken wir kurze Zeit später. Aber nicht etwa, während wir süssliches Kraut rauchen (höhöhöhöhö diesen Witz hat sicher noch niemals jemand gemacht höhöhö), sondern während wir durch eine grössere Stadt mit dem Namen Ganja spazieren.

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Irgendein Haus in Ganja

Diese ist auf skurrile, irgendwie oberflächliche Weise prunkvoll. Die Gebäude sind riesig und verschnörkelt, die Strassen so rein, dass man vom Boden essen könnte. Der goldene Schein wird noch durch die Goldzähne verstärkt, die in jedem zweiten Männermund glänzen.

Die Leute gefallen uns aber sehr gut. Aus den Autos winken sie uns wieder zu und wir werden sehr bald begeistert angesprochen.

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Knuffige Ladas wie diese gibt es hier überall

Kilometer 5’823

Nach Ganja gelangen wir in eine sehr trockene Gegend. Auf der Karte ist ein Stausee eingezeichnet und wir sehnen uns nach einem erfrischenden Bad. Zuerst finden wir lediglich einen eingetrockneten Schlammtümpel neben einem Kraftwerk. Wir ahnen, dass es sich hier nicht um den schönen See handelt, der uns angepriesen wurde, und suchen weiter. Ein paar trocken-karge Hügel weiter öffnet sich der Blick dann plötzlich auf einen idyllischen See, der eingerahmt ist von in der Abendsonne glühenden sandbraunen Bergen. Am örtlichen Badestrand machen wir Halt. Moment mal, denken sich die Teamohneglieder. Sind wir hier an einem Men-only-Strand gelandet? Überall tummeln sich Männer und Jungs, dazwischen nur zwei bis drei Frauen. Ein paar einheimische (geschäftstüchtige) Kerle versichern uns, dass wir hier baden können, doch die Frauen des Teams fühlen sich nicht hundertprozentig wohl. Sofort sind wir, die Fremden, die Hauptattraktion, und alle Leute kommen, um uns zu bestaunen und mit uns zu reden. So lebt es sich also als V.I.P. – im Bikini macht das Ganze aber etwas weniger Spass. Das Bad im Seewasser mit Sicht auf die Sandberge erfrischt nichtsdestotrotz und das Wasser strahlt magisch im Licht der untergehenden Sonne (man könnte auch sagen radioaktiv vom nahegelegenen AKW, aber das würde so nicht stimmen, zumal wir auch nicht wissen, ob es tatsächlich ein solches Kraftwerk war). Uns wird (noch immer geschäftstüchtig) freundlich angeboten, dass wir am Seeufer übernachten dürfen, doch das ganze Team ist einstimmig dafür, irgendwo zu schlafen, wo es menschenleerer ist als am bevölkerten Strand.

Strand am Stausee
Strand am Stausee

 

Auf der Suche nach einem Schlafplatz fährt der Panda wendig voraus und ein paar steile Hügel hinauf – der Doblo versucht, Schritt zu halten und scheitert fast. Adrenalin pur, Staubgewirbel, durchdrehende Räder. Social Media-Profi Fabian wittert ein dramatisches Foto, steigt aus und hält fest, wie sich der Doblo tapfer den Hügel hochkämpft. Dabei wird er (Fabian, nicht der Doblo) noch beinahe von einem Hund angefallen, der aussieht, als wäre er schon zweimal überfahren worden und würde sich manchmal mit Bären prügeln. Nein, angefallen wäre etwas übertrieben, der Hund rennt nur bellend an, aber Meret empfindet es so. Schliesslich kommen alle (ausser dem Killer-Hund) wohlbehalten oben an, wo der Panda bereits unbeeindruckt und triumphierend wartet.

Mättelis Offroadfahrt
Dobloaction und glückliches Mätteli

Zwischen den trockenen Hügeln, die mit ihren kargen Büschen und den vielen Disteln Wüsten-Flair versprühen, richten wir unser Lager ein. Musik, Lichterketten, diese wahnsinnige Landschaft und Sternenhimmel – was will man mehr? „Doch, was wir da machen, ist schon irgendwie huere geil“, sagen wir zueinander.

In der Nacht ertönt mehrmals ein wildes Geheul. Es muss sich um ein Wolfsrudel handeln, sind wir zunächst überzeugt. Zum Glück sind wir in den Zelten optimal geschützt *Ironie off*. Als wir aber genauer hinhören, stellen wir fest, dass es unmöglich Wölfe sein können. Es klingt wie eine Mischung aus Katzen und Hunden, die miteinander streiten – und so, als wären es keine grossen Tiere. In unserer Fantasie sind wir also von kleinen, puschligen Tieren umgeben, die irgendwie putzig und aggressiv zugleich sind. Am nächsten Tag kommt uns die Eingebung: Vermutlich waren es Koyoten.

Schlafplatz am Stausee
Schlafplatz von der einen
Febeler am Bildeli machen
und von der anderen Seite

Am Morgen steht die Bewältigung unserer ersten Challenge an, die wir uns vor der Reise vorgenommen haben. Wir beschliessen, alle kein Wort mehr zu sprechen, bis wir in Baku ein Restaurant erreichen. „Machen wir?“ – „Machen wir!“, und sofort sind die Lippen versiegelt. Ausser die von Moris, der zunächst noch nicht mitgekriegt hat, dass wir mit unserem Schweigestreik gleich jetzt beginnen und munter weiterplappert. Erst als ihn die anderen belustigt mustern, verstummt auch er. Schweigend räumen wir auf, setzen uns ins Auto und fahren noch einmal an den See, wo wir ohne Worte ein Morgenbad nehmen. Manche schwimmen gleich in den Kleidern und lassen diese dann im Auto auf der Haut trocknen, um die Erfrischung länger anhalten zu lassen.

Nach ein paar Stunden sind wir das Schweigen bereits gewohnt, haben wir doch neue Formen entwickelt, um miteinander zu kommunizieren. Manche lachen extrem viel und andere nutzen eine intensive Mimik oder Gestik, um sich auszudrücken. Erstaunlicherweise wissen wir auch so fast immer, was gemeint ist. Was ist eigentlich der Mehrwert von Worten? Für Aussenstehende, etwa die Leute an den Tankstellen, muss unsere Gruppe etwas wirr wirken: Acht Leute, die zusammen in den Autos sitzen, aber kein Wort miteinander wechseln und hin und wieder laut lachen oder gestikulieren. Kevin, Meret und Mefistle platzen zwischendurch mit einem Satz aus einem Traum – doch merken sie alle bald, dass das Experiment mit dem Schweigen noch immer weitergeht. (Mätteli freut sich, dass Kevin ihr Schweigen neben einem Bahngleis mit der Frage „Ist das auch Breitspur?“ bricht.)

Vor Baku werden die Strassen immer schlechter. Bodenwellen und Sandstürme erschweren uns die Fahrt, und beim Panda knallt es plötzlich. Mangels Worten wird dies einfach zur Kenntnis genommen, und die Weiterfahrt ist ja möglich. Wir erreichen die Stadt am Kaspischen Meer. Erster Eindruck: mondän, sehr gepflegt und wie Ganja recht prunkvoll. Jedes Detail ist mit Sinn für Ästhetik gestaltet. Selbst die Schallschutzwände auf der Autobahn sind aus hübschen Mauern gefertigt und mit dekorativen Strassenlaternen versehen. Es gibt viele architektonisch auffällige grosse Gebäude, deren Fensterfronten grünblau glänzen. Hinter der ausgesprochen sauberen und gepflegten Fassade des Zentrums zeigen sich aber auch einfachere Strassenviertel. Manche Teammitglieder (Mefistle) empfinden die Stadt als fast zu perfekt, aber Baku gefällt im Grossen und Ganzen trotzdem. Die Altstadt ist sehr hübsch und mittendrin befindet sich die Schweizer Botschaft. Wie sich das eben gehört.

In einem überteuerten Restaurant machen wir Halt und brechen unser Schweigen. Während manche dies aufgrund der tiefschürfenden Inhalte der Gespräche sofort bereuen lieber noch länger die Stille genossen hätten, sind andere sehr froh, ihren Gedanken wieder Ausdruck verleihen zu können. Nach einer leckeren Mahlzeit fahren wir zur gebuchten Unterkunft, die sich sehen lassen kann: Es handelt sich um ein grosses, klimatisiertes Zimmer mit einem prunkvollen Murano-Glas-Kronleuchter. Es hat aber nur sechs Betten im Raum; Meret und Fabian übernachten die nächsten zwei Nächte im Airport Hotel direkt am Flughafen, da Meret am Samstag nach drei sehr intensiven und spannenden Wochen bereits ihre Rückreise antritt. Am Samstag wird sie lückenlos durch Joyce ersetzt abgelöst, die am selben Flughafen eintrifft. Meret wird das Zepter des Blogschreibens nun an Febeler und Mätteler übergeben. Sayonara oder arrivederci oder so! (Zu Hause wird sie wohl einen Blog über ihren nicht ganz so abenteuerlichen Alltag verfassen, weil sie mittlerweile eine ausgeprägte Blogschreib-Sucht entwickelt hat. Aber auch ihre çay- und Porridge-Abhängigkeit muss sie dann behandeln lassen.)

Kilometer 6’122

Am nächsten Tag müssen wir uns um das Panda-Baby kümmern. Das Knallgeräusch kurz vor Baku am Vortag hat sich als Abschiedsgruss des linken hinteren Federpakets herausgestellt. Eine der beiden Federstahlstücke ist in der Mitte auseinandergebrochen.

 

Kabutte Feder
Finde den Fehler

Da wir für das platte Doblo-Rad sowieso eine Werkstatt in Baku suchen wollten, können wir die beiden Autölis gleich zusammen behandeln lassen. Etwas ausserhalb der Stadt befindet sich eine Art Werkstatt-Meile, wo links und rechts der Strasse eine Autobastlerei neben der anderen steht. Leider ist der Besitz eines Schweissgerätes hier scheinbar eine Seltenheit, weshalb man uns etliche Male ein Haus weiter schickt. Schliesslich werden wir in einer grösseren Werkstatt fündig. Hier werden wir sehr nett empfangen, sofort bildet sich eine Menschentraube um die beiden Autos und alle wollen wissen ob wir irgendetwas brauchen und ob sie uns etwas zu essen bringen sollen oder ob wir sonst etwas benötigen. (In der Schweiz wurden wir bei der Suche nach Ersatzräder jeweils immer hässig mit „sowas haben wir sicher nicht“ aus der Werkstatt gescheucht). Nur einer der etwa zehn anwesenden Männer trägt Werkstattkleider, alle anderen stehen in Hemd und Bügelhose daneben. Jeder scheint eine andere Hierarchiestufe zwischen dem Mechaniker und dem ober-CEO der Werkstatt innezuhaben, was sie uns immer gerne bei der Begrüssung sofort sagen. „Hello my name is … and I work here as a …-manager“ hören wir also zehnmal, bevor wir unsere Probleme an den Autos zeigen können. Sofort legt sich der Mechaniker unter den Doblo und schweisst kurzerhand den Spalt im Abgastrakt wieder zu. Der Panda wird auf den Lift genommen und die Reparatur der Feder sollte bis morgen Mittag abgeschlossen sein. Glücklich und 150 Mamis (CHF 100.-) leichter verlassen wir die Werkstatt und fahren zurück zu der Unterkunft.

Fiats in Baku
Fiat-Spital in Baku
Reifen am betrachten
Begutachen des Ergebnisses von Mättelis Offroadfahrt
Reifen nach Doblo-Offroadfahrt
Das muss noch bis Sibirien und zurück ausreichen

 

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9 Antworten auf “(Verdauungs-)Probleme im Überfluss am Kaukasus: 4’920km – 6’122km”

  1. Bin auch seeeeehr begeistert vom Blog! Weiter so!
    Hoffe, alle sind und bleiben nun gesund!! Ihr wisst ja gar nicht, was hier für Spekulationen losgegangen sind, als ihr das Stück wieder zurückgefahren seid – das erzähle ich dann bei eurer Rückkehr…

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  2. Schön, dass es ar Melina wieder besser geit.
    U häbet chli Sorg zu öine Outöli, dir Grobiane, es geit de no wit.
    Witerhin viu Spass u viu viu Glück.

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